Etwas Unaufhörliches von Katrin Bettina Müller, TAZ

Etwas Unaufhörliches

Dem Klang des Regens und seiner Ausblendung der Welt folgt Harriet Groß in der Guardini Galerie mit Zeichnungen und Installationen

Von Katrin Bettina Müller

Das Verhältnis zum Regen hat sich verändert. Steigende Temperaturen, sinkende Grundwasserspiegel, Trockenheit als Folge – der Blick auf die Wetter-App und in den Himmel sucht nach Wolken. Die alltägliche Wahrnehmung davon, was „schönes Wetter“ ist, dehnt sich allmählich auch auf Regentage aus.

Ein entspanntes Verhältnis zum Regen als ästhetisches Ereignis wird hingegen eher selten. Seinem Klang zu lauschen auf dem Blech der Fensterbrüstung oder auf den Steinen im Hinterhof; zu beobachten, wie seine Schleier die Landschaft langsam verhüllen und wieder zum Vorschein kommen lassen; den Aufprall der Tropfen auf sandigem Grund oder dem Wasser eines Sees zuzuschauen.

Dem Regen als ästhetisches Ereignis widmet sich die Berliner Künstlerin Harriet Groß mit Zeichnungen auf Papier und im Raum in dem Werkkomplex „Weißer Regen“, der jetzt in der Guardini Galerie zu sehen ist. Erstaunlicher Weise konzentriert sie sich dabei auf die Strukturen, den Weg fallender Tropfen mit langen geraden Linien verfolgend, deren Dichte, Rhythmus und Tempo sie dabei variiert, Wellen und Risse hineinbringt. Etwas Unaufhörliches liegt in diesen Strukturen, die den ganzen Raum der oft übermannshohen Blätter einnehmen. Der Ort, wo der Regen fällt, ob Landschaft oder Stadt, wird in den Arbeiten nicht miterzählt; der Regen somit zum alles beherrschenden Gegenstand in schwarz-weißen Linien, die auch schon mal als Wald aus Stangen im Raum stehen oder aus feingliedrigen Ketten gebildet sind.

In Lentikulardrucken verbindet sie Tuschezeichnungen von Linien, die den Regen rauschen lassen, mit Fotografien von Tropfen, die konzentrische Ringe im Sand hinterlassen. Die beiden Bildebenen sind in „Weißer Regen am frühen Morgen“ übereinander gelegt und was man zu erkennen glaubt, verändert sich in dieser auch Wackelbilder genannten Technik im Vorübergehen. Das Gehen überhaupt durch die Räume der Ausstellung ergänzt die vertikalen und horizontalen Kompositionen der Linien, wenn sich die Stäbe und Ketten im Raum vor die Tuschezeichnungen schieben. Ihre Strukturen erzeugen auch ein imaginäres akustisches Echo, man sieht und hört Pausen, Veränderungen des Rhythmus und der Dynamik. Eine Arbeit ist denn auch der Komponistin Éliane Radigue, französische Pionierin der Langsamkeit und der elektronischen Musik, gewidmet.

Der Titel „Weißer Regen“ bezieht sich auf die japanische Kultur, die in ihrer Sprache viel mehr differenzierende Begriffe für die verschiedenen Ausformungen von Regen hat als unsere. Weißer Regen ist ein kurzer treibenden Regenschauer; zwei japanische Holzschnitte von regnerischen Szenen aus dem 18. und 19. Jahrhundert hängen in der Ausstellung als Hinweis auf den Zusammenhang.

Der Werkkomplex „Weißer Regen“ lebt von seiner ästhetischen Ausformung. Zurückhaltend in Behauptungen von gesellschaftlichen Bedeutungen, zeugt diese Ausformung von Konzentration, Reduktion, dem ästhetischen Haushalten mit wenigen Elementen, der Suche nach Reichtum und Vielfalt in der Beschränkung. Das ist der Punkt, wo aus der ästhetischen Haltung auch ein ethisches Programm werden kann.Trotzdem haben es solche Formen der Kunst, die aus der Erkundung ihrer Mittel entstehen, schwer in einer Zeit, die leichter fördert und feiert, was mit Begriffen gesellschaftspolitischer Diskurse hantiert und deren Bedeutung der handwerklichen und ästhetischen Umsetzung oft vorauszugehen scheint. Dass die Guardini Galerie immer wieder auch andere Werke in den Fokus rückt, die eher still und meditativ wirken, ist gut auch gerade in Zeiten, in denen der Wert der Kunst doch immer öfter an ihrem Erregungspotential gemessen wird.

Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, Mo.–Fr. 13–18 Uhr, bis 22. Juli

TAZ Berlin Kultur am 02.06.2022

https://taz.de/!5855222/

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