Fugen Interview mit Hermann Oechtering

HARRIET GROß | Fugen | Eröffnung: Sa. 28. 05. 19 Uhr | Vincenz Sala Berlin|Paris

Interview mit Hermann Oechtering von Vincenz Sala Berlin zur Ausstellung Fugen 2016

Du arbeitest mit Metallfolie in Schwarz, Papier in Weiß, Sicherheitsgurten, Schnüren, Tape und Glasobjekten.
In Deinen neueren Arbeiten tauchen auch Jalousien, Holz und Metallstangen auf, mit denen Du raumbezogene Installationen entwickelst, die Gruppen und Konstellationen bilden.Du bezeichnest deine Arbeiten als Raumzeichnung was die Beschäftigung mit Architektur zumindest nahelegt…

Reale Architektur ist nur in den seltenen Fällen mein Ausgangspunkt wie z.B. in meiner Arbeit „tokyo vocabulary“. Dort bin ich auf meinen Streifzügen durch Tokio auf Kurokawas Kapselturm, das erste Kapselhotel, gestoßen. Dieser dem Abriss freigegebene Turm entsprach genau dem was ich suchte. einzelne autarke Räume, fast wie Monaden die sich zu einer eigenen Sprache zusammensetzen konnten. Ihn habe ich dann bewußt für meine Schnurzeichnung und die Foto Cutouts verwendet. Meist allerdings entwickeln sich die Räume ohne direkte Referenz eher als eine Collage aus der Erinnerung heraus. Sie sind wie Skizzen von fiktiven Räumen, in denen ich mich dann mit meinen Ideen bewegen kann. Der eigentliche Raum, den ich zu fassen versuche, ist nicht sichtbar, es ist die Schwelle, der Übergang oder auch der Raum Dazwischen, der der Einbildungskraft.

Wie entsteht eine Arbeit, die sich am Ort orientiert?

Wenn möglich versuche ich mich eine Weile in den Räumen aufzuhalten, um ein Gespür für ihre Eigenheiten zu gewinnen. Jeder Raum strahlt etwas anderes aus oder trifft vielleicht auch besser eine andere Stimmung in mir. Ich habe meine Idee im Kopf und die fängt nun an in ein Zwiegespräch zu treten. Bereits bestehende Elemente aus den vorausgegangenen Blättern fügen sich ein, spitzen sich zu, fordern nach Eingriffen oder Ergänzungen, um eine neue Gesamtstruktur der Zeichnung herauszulocken… von ruhig über gereizt bis unfähig, dann sicher strukturiere ich den Raum neu.
Oft habe ich Cutouts, die einen langen Arbeitsprozess durchlaufen haben, mit eingefügt. Sie sind zuvor entstanden, denn das Schneiden erfordert Genauigkeit und Zeit. Diese Zeit spiegelt sich dann in dem Raum wieder, den ich ja meist in einer relativ kurzen Aufbauphase für eine neue Konstellation nutze. In meinen neuen Arbeiten verwende ich Materialien, die noch nicht den langen Vorlauf in sich tragen. Ich möchte das Moment des Flüchtigen noch zuspitzen. Formulierungen, zu denen es nur unter Anspannung an diesem Ort kommen konnte und die nur für den Zeitraum der Ausstellung sichtbar sind. Es ist wie wenn ich einen Gedanken eines Textes verstehen will und mich von allen Seiten annähere. Irgendwann bekomme ich ihn zu fassen, manchmal dauert es, aber diese Momente äußerster Konzentration sind mir wichtig und dann laß ich wieder los und die Gedanken gleiten weiter.

Die Arbeiten, die ich von dir kenne, zeichnen sich auch durch die Abwesenheit von Farbe aus.

Ja, ich bewege mich oft zwischen den Polaritäten: Schwarz/Weiß, Negativ/Positiv, Linie/Fläche, Fläche/Raum Abstraktion/Gegenständlichkeit. Das was aussieht wie ein klares Bekenntnis zum Ja oder Nein, zum Sein und Nichtsein oder mathematisch zur Null und zur Eins, verstehe ich als Auffächerung von unendlichen Möglichkeiten.Oft werde ich gefragt warum keine Farben, die doch sonst eine große Rolle für mich spielen. Mein Leben ist unruhig, ich versuche mich zu konzentrieren, zu reduzieren und das für mich Wesentliche herauszuarbeiten. Die Farben kommen von selbst, eigentlich sind sie ständig dabei, sie entstehen für mich im Kopf. Ich formuliere / zeige meine Ideen, aber der eigentliche Vorgang der angestoßen wird, läuft bei jedem unterschiedlich ab je nach den Erfahrungen und Erinnerungen, die man mit sich trägt. Da kommen die Farben ins Spiel.

Gibt es Vorlagen für eine Wandzeichnung oder beginnst du direkt an der Wand?

Es gibt immer Skizzen/Textfragmente auf Papier oder in Büchern. Ebenfalls entstehen eigenständige Zeichnungen zu der Idee. Manchmal durchspiele ich wie für diese Arbeitsgruppe der Fugen Rhythmen bis sich einige herauskristallisiert haben mit denen ich dann auf der Wand weiterarbeite. Ich folge einer Idee, einem Thema und setze auf einer anderen Ebene wieder ein. Der Rhythmus könnte sich endlos fortsetzen. Es bilden sich Flächen, die sich aus ihrer Umschreibung lösen…Eine direkte Übertragung allerdings ist immer schwierig, da der Raum anderen Einfluss auch auf die Zeichnung hat. Ich liebe die Unebenheiten die Kanten, die kleinen Störungen auf den Wänden, über sie lassen sich meine Skizzen werfen und sie beleben meine Ideen unterfüttern sie sozusagen. Ebenso die Schatten, die entstehen, wenn ich die Linien mit Schnüren ziehe. Die Schatten sind lange für mich eines der wesentlichen Dinge gewesen, der Ort an dem die Kraft der Bilder bei jedem entsteht. Jetzt übernehmen die Metallstrings wie ich sie nenne den Schattenwurf. Dieses zu Linien gefaltete/gedrängte Metall ist in sich räumlich und fängt in den Raum gezogen seine Formen ein. Sie stören den Rhythmus, akzentuieren ihn aber auch. Die Stangen verlängern die Tapezeichnungen in den Raum. Sie können stützen, sind doch auch als eigene Standpunkte lesbar je nach Blickwinkel.Sie setze ich meist zum Schluß.

Der Titel deiner Ausstellung „Fugen“, mit dem rückblickendem „F“ bezieht er sich auf das besondere Kompositionsprinzip einer Fuge?

Ich zeichne im Raum, aber die Linien sollen sich davon lösen Reales beschreiben zu wollen. Ich gelange an unsichere Punkte die nur über Nebenwege zu lösen sind. Fugen bezieht sich nicht nur auf polyphone Mehrstimmigkeit, sondern sie sind auch der schmale Zwischenraum, der wichtig für die Bewegung einzelner Elemente im Gesamtgefüge ist. Hier wird das Ausdehnen möglich das Atmen. Oft werden sie als Linien gelesen, doch nimmt man sie genauer in den Blick, eröffnen sie Räume wie poetische Wachstumsfugen in denen Möglichkeiten entstehen.

 

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