Ausstellungseröffnung:
Freitag, den 7. September 2012 um 19 Uhr
8. September 2012 – 13. Oktober 2012
Öffnungszeiten: Donnerstag – Samstag, 14 – 19 Uhr
und nach Vereinbarung (tel. +49.30.76 23 63 76)
In der aktuellen Doppelausstellung mit dem Titel „Blase“ werden die neuesten Arbeiten von Harriet Groß und Maja Rohwetter ein filigranes und atmosphärisches Energiefeld erzeugen, das sich in Harriet Groß‘ Exponaten vorrangig im Zwischenbereich von sinnlicher Objektwelt und dem mentalen Bereich bewegt, wohingegen es sich in Maja Rohwetters fiktionalen Bildwelten in der Verdichtung von realer Außenwelt und Virtualität aufbaut.
Die „Blase“ steht mit ihrer Hülle, ähnlich dem Ei, wie es Peter Sloterdijk in Band 1 seiner Trilogie „Sphären“ mit dem Titel „Blasen“ beschreibt, „mit ihren Membranen, Gallerthüllen oder Schalen, für das Prinzip Grenze; sie schließen das Innere gegen das Äußere ab; zugleich erlauben sie hochselektive Kommunikationen zwischen Ei und Umwelt – etwa Feuchtigkeitsaustausch und Lüftung. Als materialisierte Unterscheidungsinstanzen zwischen Innen und Außen fungieren Schalen und Membranhäute somit als Medien im Grenzverkehr.“ (*1)
Harriet Groß untersucht auf künstlerischem Wege die Bedingungen unserer kognitiven Wahrnehmung und fokussiert deren Filter, Schwellen und Grenzen, die bei biologischen Übertragungsmedien als sogenannte Transmitter (*2) im Verarbeitungsprozess auf neuronaler Ebene zum Einsatz kommen. Diese haben sowohl Einfluss auf unser Bewusstsein und unsere Realitätswahrnehmung als auch auf die Sprach-und Gestaltungssynthese, die als das Kommunikations- und Übertragungsmedium nach außen fungiert.
So erinnert Ihre aktuelle Gesamtinstallation im Ausstellungsraum an ein überdimensionales, synapsenartiges Gebilde (*2), das sich aus blasenartigen Glasgefäßen, Zeichnungen auf Papier und Wand, einer Soundinstallation und ihren bekannten „Metallcutouts“ aus schwarzem Aluminium (black wrap) zusammensetzt. Mit dieser lichtundurchlässigen Filmfolie gibt sie ihren Scherenschnitten Plastizität und Formbarkeit. Sie bilden feste Schablonen unserer unbewußten Raster- und Filtersysteme, lassen aber dabei immaterielle Schattengebilde dieser Prozesse zu.
Zu sensibilisieren, Sinne zu schärfen sowie gewohnte Verhaltensmuster in Frage zu stellen und der Kanonisierung von Denk- und Verhaltensweisen entgegenzuwirken, ist ein Hauptanliegen der Künstlerin. Im filigranen Erlebnisfeld und energetischen Zwischenraum der Arbeiten, kann der Besucher mehrere Perspektiven einnehmen und sich der Bedeutung von Bewusstseinsbildung und Realitätskonstruktion auf sinnliche Art und Weise nähern.
Im Gegensatz zu Harriet Groß bewegt sich Maja Rohwetter auf ihrer Forschungsreise über Realitätskonstruktionen in Raum und Zeit, sphärisch eher in einem blasenartigen Vakuum mit einer zentralen Dynamik und der unendlichen Fluchtperspektive der virtuellen Bildproduktionsmöglichkeiten.
In den Übergangszonen, Randbereiche und Bruchstellen der vereinfachenden Konstruktionen virtuell dargestellter 3D Räume in Computerspielen entdeckt sie das Potential, um ihre Vorstellungen von einem aktuellen umfassenden Realitätsbegriff, der das Zusammenspiel von Virtualität und Realität thematisiert, mit den Mitteln der Malerei jeweils neu auszuloten.
In der aktuellen Ausstellung zeigt die 3D- Animation „something somewhere“ eine Kamerafahrt in die Tiefen des malerischen Bildraums, der sich von kristallinen Flächen zur Tunnelfahrt durch Pinselspuren gestalten kann. Die Gemälde basieren auf visuellen Phänomenen in 3D Welten.
„Unter Bedingungen der neuen Medien und Computertechnologien hat das sprechende Sein, das man Mensch nennt, Abschied genommen von einer Welt, die durch Repräsentation geordnet war – und das heißt eben auch: Abschied genommen von einem Denken, das sich selbst als Repräsentanten der Außenwelt verstand. Die gadgets der Informationsgesellschaft sind das unhintergehbare historische Apriori unseres Weltverhaltens; Programme haben die sogenannten Naturbedingungen der Möglichkeit von Erfahrung ersetzt“ (*2).
Für Norbert Bolz hat sich somit ebenso wie für Maja Rohwetter die Videowelt von der Newtonwelt emanzipiert.
Maja Rohwetter macht uns auf beeindruckende Art und Weise bewusst, dass unsere Wahrnehmung und Wirklichkeit aus Brüchen besteht und wir uns auf mehreren Realitätsbenen zu orientieren haben, die in zunehmendem Maße medial geprägt werden, wir aber, im Spiel mit der Wahlfreiheit der Dimensionen, selbst unsere Realität konstruieren (müssen).
Indem sie mit den Mitteln des älteren Mediums Malerei die neu hinzukommenden Medienrealitäten hinterfragt, arbeitet Maja Rohwetter eher auf einen zentrifugalen unendlichen Fluchtpunkt innerhalb der „Blase“ hin, während Harriet Groß` künstlerische Forschungsarbeit sich bezüglich des Begriffs „Blase“ eher in einer Expansion und schaumartigen Verbindung sich verändernder Kapseln als Formbildung von Immateriellem nach Außen zeigt
Die Ausstellung bietet somit erfahrungsreiche atmosphärische Landschaften in unterschiedlichen Dimensionen, die einerseits blasenartige mentale Konstrukte und andererseits unsere mediengeprägten Realitätsebenen künstlerisch erforschen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
(*1) Peter Sloterdijk, „Sphären 1, Blasen“, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998, Seite 332
(*2) Norbert Boltz, „Chaos und Simulation“, Wilhelmn Fink Verlag, München, Seite 130
© Marcus Kettel 2012